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für Ljudmila - Zeugnisse für das Gute

Ljudmila Rasumova; Simone Weil; Zeugnis für das Gute; Solidarität; solidarity
für Ljudmila_2025_Öl auf Holz_61-122 cm

 

Wie auch ihr Ehemann Aleksandr Martynov wurde die russische Künstlerin Ljudmila Rasumowa im März 2023 wegen «Fakes» zu 7 Jahren Gefangenschaft in einer Strafkolonie verurteilt. Indem sie im März 2025 in einen trockenen Hungerstreik tritt, setzt sie sich mit ihrem Leben weiter für die Wahrheit ein. 

Ljudmila ist zu diesem Zeitpunkt 56 Jahre. Auf dem Foto, dass ich als Grundlage für mein Portrait wähle, wirkt sie sehr willensstark und jugendlich. Ich entscheide mich, das Portrait zu malen, sobald ich mit einem laufenden Zyklus zu einem Kriegstagebuch fertig bin. Im August ist es so weit. In der Zwischenzeit finde ich heraus, an wen mich dieser selbstbewusste Blick, vor allem die Haarpracht so sehr erinnert: Simone Weil, die politische Philosophin und Mystikerin, die 1943 im Alter von nur 32 Jahren verstarb. Über sie hatte ich in Wolfram Eilenbergers biografischem Buch „Feuer der Freiheit“ [Klett-Cotta Verlag 2020] mit großer Hochachtung gelesen und so setze ich sie selbstbewusst neben Ljudmila, dass jeder die äußere Ähnlichkeit sieht. Was ihre inneren Überzeugungen angeht, weiß ich leider von Ljudmila zu wenig, aber ich ahne auch dort Ähnlichkeiten. In den politischen Umständen, die beide, jede in ihrer Zeit, umgeben, bestehen sehr große Parallelen: Simone in der Zeit der Tyrannei des Nationalsozialismus und des Kommunismus, Ljudmila in der heutigen Autokratie/ Oligarchie-Tyrannei Putins. Heute wie damals herrscht Krieg in Europa, gegen den sich beide Frauen vehement zur Wehr gesetzt haben bzw. setzen. Über die Zeit von 80 Jahren hinweg eint beide ihr Mut und ihr EINSATZ FÜR DIE WAHRHEIT MIT DEM LEBEN, Simone damals auf politisch-aktivistische Weise und durch Selbsterfahrung, Ljudmila heute als unschuldig und rechtswidrig Gefangengehaltene. Zwei Frauen, die ‚einfach an sich glauben‘ und Zeugnisse ablegen für das Gute. 

Ergänzung:

1951 schreibt Albert Camus in einem Brief an Weils Mutter: „Simone Weil, ich begreife es nunmehr, ist der einzig große Geist unserer Zeit …“ und ergänzt zu ihrem Werk „…; ein Werk, dessen volle Wirkung wir erst noch zu ermessen haben.“[1] Passend auf unsere Zeit ist auch ein Essay Simone Weils von 1937 zum Krieg, der um ein reines Phantasma geführt wird, ich zitiere ihn aus dem Buch von Wolfram Eilenberger: 

„Lasst uns den Trojanischen Krieg nicht von Neuem beginnen!
Zehn Jahre lang metzelten sich Griechen und Trojaner wegen Helena gegenseitig nieder. Keiner von ihnen, außer der Amateurkrieger Paris, hing auch nur im Geringsten an Helena. ... Für jemanden, der zu sehen vermag, gibt es heute kein beängstigenderes Syndrom als den irrealen Charakter der meisten ausbrechenden Konflikte. Sie besitzen noch weniger Wirklichkeit als der Konflikt zwischen den Griechen und den Trojanern. Im Zentrum des Trojanischen Krieges stand zumindest eine Frau, zudem noch eine außerordentlich schöne Frau. Für unseren Zeitraum sind es mit Großbuchstaben dekorierte Worte, die Helenas Rolle einnehmen. Wenn wir eines dieser von Blut und Tränen aufgedunsenen Worte greifen und versuchen, es festzuhalten, stellen wir fest, dass es keinen Inhalt hat ... alle Begriffe des politischen und gesellschaftlichen Vokabulars könnten hierfür als Beispiel dienen: Nation, Sicherheit, Kapitalismus, Kommunismus, Faschismus … Jedes dieser Worte scheint eine absolute Realität darzustellen, unabhängig von jeder Bedingung, ein absolutes Ziel, unabhängig von allen Wirkungsweisen, oder ein absolutes Übel; und zugleich schieben wir jedem dieser Worte nach und nach oder gar in einem beliebig irgendetwas unter
.“

Dem füge ich hinzu: Das heutige gesellschaftlich und politisch propagandistische Vokabular unterscheidet sich der Art nach nicht von dem damaligen, allein sind die Wörter durch ihren mediengetriebenen inflationären Gebrauch noch sinnentstellter und bedeutungsloser. Sie eignen sich noch besser, die Menschen zu Gleichgültigkeit zu erziehen angesichts der entgrenzten blutigen Gewalt, die sie täglich aus dem Sessel verfolgen.

Faschismus ist z.B. ein Wort, das in der russischen Propaganda alles Mögliche bezeichnet, außer den tatsächlichen Faschismus – ein antiliberales Regime, das auf Revanchismus, Führerkult und der uneingeschränkten Macht des Staates aufgebaut ist. Die Irreführung hat System: Während sie uns weismachen, den (alten) Faschismus zu bekämpfen, sind Russland ebenso wie Amerika absolut faschistische Systeme mit den alten Attributen in neuen Kleidern. 

Friedenssicherung, Sicherheitsgarantien, Koalition der Willigen, …  sind hohle Wörter der noch demokratischen europäischen Nationen, die uns im Sessel beruhigen sollen, dass alles getan wird, einen gerechten Frieden für die Ukraine zu erreichen. Doch kann das schlechthin Böse mit Zugeständnissen in Schach gehalten werden? 

Simone Weil begreift 1937, dass der Trojanische Krieg eben doch stattfand, dass die Tschechoslowakei verloren war, bald auch Frankreich und dass die unersättlichen Kriegstreiber Hitler und Stalin nicht durch Zugeständnisse zu sättigen sind. Radikal nennt sie ihren früheren Pazifismus einen "verbrecherischen Irrtum". Mit Blick auf die heutigen Kriegstreiber Putin, Trump, Netanjahu, wie sie auch heißen, begehen wir heute denselben verbrecherischen Irrtum. Doch den Aggressoren freiwillig jene Zugeständnisse machen, die sie durch Krieg und Erpressung verlangen, wird sie nicht besänftigen, sondern weiter anspornen

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 [1] Wolfram Eilenberger, Feuer der Freiheit, Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten 1933-1943, Klett-Cotta 2020

 

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