Ausstellung
Lebendiger Stein
Mit mittel- bis großformatigen Arbeiten in Öl auf Holz bzw. Leinwand bewege ich mich im Raum zwischen den klassischen Prinzipien von Intention und Zufall. Ich folge dem Pfad surrealistischer Methodik, reale Motivquellen (hier im Dom zu Aachen) zu suchen und traumhaft bzw. surreal zu interpretieren, ohne den realen Bezug zur Quelle ganz zu verlieren. Für den Betrachter, der dieser Spurensuche folgen möchte, öffnet sich Raum, Zufälliges zu entdecken und sich den Geheimnissen im fließenden Wesen der Motive zu nähern. Die Arbeiten werden in Form von handsignierten Pigmentdrucken (Giclée-Druck[1]) auf hochwertigem Barytpapier veröffentlicht. Die Auflage ist auf 20 limitiert. Der Zyklus von 24 Bildern entstand zwischen September 2016 und Dezember 2018. Das dazugehörige Begleitbuch „Domseelen – Sinnspuren im Aachener Dom“ erschien Anfang 2019, in dem ich den Bildern persönliche Analogien mit Texten vornehmlich aus der Bibel gegenüberstelle.
Das Fließende, das dem Werk und Wesen des Steins entspringt, ist bei mir eine Matrix, in die ich die Figuration hineinmische. Diese Matrix unterstütze ich durch einen dafür entwickelten, besonders strichhaften Malstil. Sie steckt voller Zufallsstrukturen, die unbeständig und unscharf sein sollen und fern von jeder Eindeutigkeit. Etwas kann sich darin von einem Moment auf den anderen verwandeln, automatische Metamorphosen quasi. Wohnt aber nicht dem Stein seine metamorphe Entwicklung als Ursinn, ja Bestimmung, inne, und ist seine augenblickliche Starre nicht eine Illusion? Kann Stein ein Bewusstsein haben, dem wir in dem Fließenden nachspüren?
Für christlich-mythologische und biblische Themen ebenso wie für die Auffassung der großen Mystiker (Laotse, Meister Eckert) verspüre ich eine gewisse Faszination. Wie die meisten Menschen suche ich immer wieder neu nach der Begegnung mit Gott, aber auf dem Boden und mit den Augen meiner Kultur und Erziehung. Die Analogien, die ich vor etwa 6 Jahren zum ersten Mal im Aachener Dom bewusst und nachhaltig empfunden habe, kommen also nicht von ungefähr. Sie entspringen auf für mich geheimnisvolle Weise dem Wesen der Steine, des Ortes und meinem Selbst. Mir ist wichtig, dass die Analogien nicht als Abbildnisse irgendeiner Vorstellung des Himmels oder Göttlichen verstanden werden. Auch sollen sie keine verbindliche Wahrheit und für niemanden ein religiöses Dogma sein. Bestenfalls sind sie meine Utopien und Anregung zur inneren Schau, wie es jedem selbst gefällt.
Das mystische Wesen der Bilder liegt vielleicht auch in der Frage begründet, warum ausgerechnet an einem Ort wie dem Dom zu Aachen diese Analogien zu finden sind, und zwar so gehäuft. Aber sind es nicht die unsichtbaren Kräfte, die diese Kirche überhaupt so einmalig beeindruckend machen?
Roger Nyssen, im April 2023
Einige der im Folgenden abgebildeten Arbeiten sind nicht Teil der Ausstellung.
[1] Giclée steht allgemein für hochaufgelöste, großformatige Ausdrucke auf Tintenstrahl-Druckern mit pigmentbasierten Tinten. Bei diesen Drucken werden üblicherweise sechs bis zwölfverschiedene Farbtinten verwendet. Die signierten Drucke sind Originalgrafiken ähnlich der Lithographie.
Allegorie oT1 -
Und es gibt himmlische Körper und irdische Körper
1 Kor 15, 35-49 Der neue Leib bei der Auferstehung
Allegorie auf die Dummheit - Das Baakauf
Das „Baakauf“ entspringt der alten Aachener Sage vom Bach-Ungeheuer, das am Büchel hauste und den betrunkenen Männern auf dem Heimweg Angst machte. Wahrscheinlich eine Erfindung der Frauen, um den Männern vorzuführen, wie dumm sie sind. Es ist bemerkenswert, dass einem ausgerechnet im Dom diese Geschichte aus der Materie so deutlich ins Auge springt.
Allegorie auf die Dichtkunst - Euphrat
Lied und Gebilde
Mag der Grieche seinen Thon
Zu Gestalten drücken,
An der eignen Hände Sohn
Steigern sein Entzücken;
Aber uns ist wonnereich
In den Euphrat greifen,
Und im flüssgen Element
Hin und wieder schweifen.
Löscht ich so der Seele Brand
Lied es wird erschallen;
Schöpft des Dichters reine Hand
Wasser wird sich ballen.
[Johann Wolfgang von Goethe – West-östlicher Divan]
Apokalyptische Vision
Und ein Wesen von künstlichem Geist erschien in der Welt, das sich anstellte Mensch zu sein. Doch war es eine Chimäre, die einem gottlosen Robot glich, mit einer menschlichen Gestalt, einem tierischen Kopf und dem unbeholfenen Gang einer Maschine. Ihm bedeutete die Welt nichts, denn es fraß die Schöpfung auf, verdaute sie und schied das Chaos aus.[1]
[1] Die kontroverse Debatte über den Nutzen und die Gefahr ausgehend von künstlicher Intelligenz, die sich
aufgrund ihrer überragend schnellen Entwicklungsgeschwindigkeit über den Menschen erheben kann, gehört in unsere Zeit. Selbst der berühmte Physiker Stephen Hawking beteiligte sich daran.
Im Dezember 2014 sagte er in einem Interview mit der BBC: "Die Entwicklung vollständig künstlicher Intelligenz könnte das Ende der menschlichen Rasse heraufbeschwören. Sie würde sich
verselbständigen und sich selbst mit immer größerer Geschwindigkeit weiterentwickeln… Menschen, die durch die
langsame, biologische Evolution eingeschränkt sind, könnten nicht mithalten und würden bald verdrängt werden".
Allegorie auf das Weibliche -
Mutterschößigkeit
Dieses und das folgende Bild gehören zusammen, sowohl was ihre Plazierung nebeneinander im Dom anbelangt als auch im metaphorischen Sinne dieser Allegorien.
Das Weibliche und das Männliche in unserer archaischen Natur haben wir von Gott und sie weisen auf ihn hin:
Das Weibliche, die „Mutterschößigkeit“, deutet auf die Barmherzigkeit Gottes, wie auch die jungfräuliche Empfängnis Mariens ein Akt des Erbarmens Gottes mit den Menschen ist.
Das Männliche, das befruchtende Wesen, das Ergreifen- und Begreifen- wollende, steht für die Gerechtigkeit und die schützende Macht Gottes, aber auch seinen Zorn.
Allegorie oT6 - Das Heilige und das Profane
Das Profane oder Unreine[1] kann in Gegenwart des Heiligen[2] nicht bestehen, sie widersprechen sich und streben auseinander. Wir Menschen erkennen diesen Widerspruch und können ihn doch nicht endgültig für uns lösen. Wir hängen an beiden wie unschuldige Säuglinge an ihren Brüsten.
Ebenso steht es mit Sein und Schein:
Sein und Schein
können sich nimmer einen.
Nur Sein
besteht für sich allein.
Wer sein will
darf nicht scheinen,
Wer scheint
wird niemals sein.[3]
____________
[1] Der Hund
[2] Der Löwe
[3] Aus meiner Erinnerung
Sedes
Sapentiae
Die Haltung einer sitzenden Gestalt vor hellem Hintergrund ist Ausgangspunkt der Deutung der Allegorie. Die Gestalt erinnert unwillkürlich an den Schattenriss einer Frau auf einem unsichtbaren
Thron mit Kind auf dem Schoß, eingehüllt in einen Kapuzenmantel – Sedes Sapentiae[1].
Diese Leitidee ist durch die pyramidale Komposition für sich bereits so absolut vorgegeben, dass sich alle weiteren Motivgedanken darauf stützen und damit kompatibel sein müssen. Unwillkürlich
sehen wir in der Frau die Mutter Gottes, denn wir befinden uns ja im Dom zu Aachen und in Nähe zum Gnadenbild. Weitere Analogien erschließen sich nun überraschend deutlich aus den
Verlaufsrichtungen und Farbkontrasten der Marmorvenaturen im Inneren der Figur, die zusammen auf die zukünftige Erlösung zeigen, in deren Mittelpunkt Maria, die mütterliche Mittlerin in Christus,
Christus der Erlöser, Satan und wir ambivalenten Menschen stehen.
[1] Sitz der Weisheit – Darstellungsform der Mutter Gottes, auf einem Thron sitzend, in der Romanik
Engel – Cherubim – tragen Gottes Sorge um die Schöpfung
Der Cherub mit Adlergesicht und fraulicher Gestalt, in Begleitung von Raben und Tauben, bewacht den Himmel. Der Cherub mit Stiergesicht bewacht die Erde. Ein Dritter hält das Leben in seiner Hand. Und durch alles strömt der Heilige Geist.
Und Christus drückt es so aus
Mt 6, 26:
Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?
Diese Allegorie erzählt von Jesus am Kreuz und Maria unter dem Kreuz, der Mater Dolorosa. Die dem Motiv zugrundeliegende Marmortafel befindet sich versteckt in einer oberen Ecke im rechten Teil des Umgangs des Oktogons, und überrascht erst auf den zweiten Blick ob der frappierenden Deutlichkeit der enthaltenen Analogien. Denn weitere mystische Symbole, Lamm, Hirsch und Schlange, die mit der Prophezeiung des Kreuzigungstodes im Alten Testament einhergehen, entfalteten sich mir erst beim Malen.
Allegorie oT14 -
Im oberen Bildteil das personifizierte Böse, die Hure Babylon, umringt von den Hauptlastern in Tiergestalt. Gegen diese „bösen Geister unter dem Himmel“ kämpfen die Tugendhaften, die die geistliche Waffenrüstung Gottes ergriffen haben (Wahrheit, Gerechtigkeit, Glauben, Frieden).
Allegorie oT15 -
Die größte Ungewissheit befällt uns bei dem Gedanken an den Tod. Wir wissen i.A. nicht, wann er uns
ereilt und was danach kommt. An ein Danach dürfen wir allenfalls glauben. Doch stelle ich mir vor, dass der Tod nur ein Mitspieler in einem unendlich großen, universalen Orchester ist, dem die
Rolle des Basses, die tiefsten Töne zufallen. Seine Wellen durchdringen das Universum schon von Anbeginn und bringen es zum Schwingen, seine Musik ist Teil des Wortes, das Leben
heißt.
Allegorie oT16 -
In unmittelbarer Nähe des Altares, über den Umgang des Oktogons von links kommend zu sehen, befindet sich diese wunderbare Erscheinung. Sie schenkt uns eine vollkommen neue Sicht auf Maria mit dem Kind, die keinem der vielen Bildnisse der Gottesmutter nahekommen, die wir aus der langen Kirchengeschichte kennen. Und doch sind alle Marien-Attribute in dem Motiv offenbar, sodass wir nicht zweifeln an seiner Authentizität. Das neue Narrativ entspringt der oberen Bildhälfte. Maria, in stolzer aufrechter Haltung, wendet sich dem kleinen Kinde zu, das sie mit Leichtigkeit auf Augenhöhe hebt. Sie trägt das Kreuz als ihre Krone. Mutter und Kind sind uns nicht zugewandt, sondern entrückt. Sie schauen sich in tiefer Verständigung an, und wir ahnen vielleicht, worin diese besteht. Hat es mit der Schlange zu tun, dem Tier mit den zwei widersprüchlichen allegorischen Eigenschaften? Klugheit oder doch Versuchung, Werkzeug des Satans? Der Kopf der Schlange schwebt über Jesus und ihr Ende fällt hinein in das Haupt der Frau.
Allegorie oT17 -
Dieses und das folgende Bild gehören wiederum zusammen, und ich verbinde beide mit der Frage nach Tod und Auferstehung. Im ersten geht es um die allegorische Sicht nach unserer tatsächlichen Erfahrung, im zweiten um die Sicht nach biblischer Überlieferung.
Allegorie oT19 -
Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir
[1]
Die Sehnsucht nach dem inneren Licht
Diese mystische Komposition wird von den beiden Menschen in der Mitte beherrscht, deren Blicke auf
einen imaginären Lichtpunkt im Raum weisen und zu dem sie sich in übernatürlicher Streckung hingezogen fühlen. Oder scheint der Raum die beiden in sich aufzusaugen? Subjekt oder Objekt einer
tiefen Verbundenheit, einer alles überstrahlenden Sehnsucht.
In den Raum habe ich die Adventsgeschichte angedeutet, denn Christus steht für die Liebe Gottes, die uns als großes Licht aufstrahlt und für die Liebe in unserm innersten Selbst, um im Bilde Augustinus‘ zu bleiben.
[1] Aurelius Augustinus, Confessiones